kritischer Mann

Der innere Kritiker: Warum wir uns oft selbst im Weg stehen und wie wir damit umgehen können

Für viele Menschen sind die Antworten hier klar: Während wir mit anderen oft mitfühlend und verständnisvoll umgehen, neigen wir dazu, mit uns selbst überkritisch und hart zu sein. Doch warum tun wir das? Und wie können wir lernen, anders mit unserem inneren Kritiker umzugehen?

Eva-Maria Goblirsch

Eva-Maria Goblirsch

Woher kommt diese kritische Stimme in uns?

Stell dir vor, du bist mit deinen Freund:innen zum Picknicken verabredet, und deine Aufgabe ist es, den Nachtisch mitzubringen. Doch als du dort ankommst, stellst du fest, dass du den Kuchen zu Hause vergessen hast. Zeitlich ist es unmöglich, ihn noch zu holen oder Ersatz zu besorgen – die Gruppe muss auf den Nachtisch verzichten.

Nun denk kurz darüber nach: Was würdest du in dieser Situation über dich selbst denken? Welche Worte würde deine innere Stimme finden? Und welche Gefühle würde das bei dir auslösen?

Jetzt ein zweites Szenario: Wieder das Picknick, doch diesmal hat ein:e Freund:in die Aufgabe, den Nachtisch mitzubringen. Auch er oder sie vergisst den Kuchen. Der Freund ist entsetzt und sagt: „Ich bin so dumm, wie konnte ich den Kuchen nur vergessen?“

Was würdest du deinem Freund in diesem Moment sagen? Würdest du ihn ebenso streng beurteilen wie dich selbst im ersten Szenario?

Die innere Stimme, die uns so oft zur Selbstkritik antreibt, wird in der Psychologie der „innere Kritiker“ genannt. Er zeigt sich in Momenten des Scheiterns, der Unsicherheit oder der Selbstzweifel und neigt dazu, Schwächen und Fehler besonders lautstark zu betonen. Diese Stimme kann sich wie ein strenger Lehrer oder Richter anfühlen, der uns ständig bewertet und selten zufrieden ist.

Fast jede:r kennt diese kritische Instanz. Während sie bei manchen leise und sporadisch auftritt, ist sie bei anderen laut und nahezu ständig präsent. Doch egal, wie stark der innere Kritiker ausgeprägt ist, er hat – so unangenehm er auch sein mag – eine Funktion.

Warum gibt es den inneren Kritiker?

Der innere Kritiker verfolgt, so paradox es klingt, eine gute Absicht: Er möchte uns schützen, motivieren und vor Enttäuschungen bewahren. Seine harschen Worte sollen uns zu besseren Leistungen antreiben und uns davor bewahren, erneut in Situationen zu geraten, die Scham oder Schuldgefühle auslösen.

Ein Beispiel: Wenn du dich selbst mit Sätzen wie „Wie konnte ich nur so dumm sein?“ abwertest, versuchst du vielleicht unbewusst, beim nächsten Mal besonders achtsam zu sein. Der Kritiker will sicherstellen, dass du den gleichen Fehler nicht wieder machst.

Doch obwohl der innere Kritiker manchmal hilfreich sein kann, wird er problematisch, wenn er überhandnimmt. Vor allem dann, wenn seine Kritik nicht mehr auf konkrete Handlungen, sondern auf deine gesamte Persönlichkeit abzielt. Aussagen wie „Du bist ein Loser“ oder „Du kannst nie etwas richtig machen“ können das Selbstwertgefühl nachhaltig schädigen und unangemessene Gefühle wie Scham oder Minderwertigkeit hervorrufen.

Wann wird der innere Kritiker gefährlich?

Während eine gesunde Selbstkritik uns helfen kann, aus Fehlern zu lernen und zu wachsen, schadet uns übermäßige Härte. Besonders gefährlich wird es, wenn der innere Kritiker verallgemeinert oder destruktiv wird.

Beispiel: Stell dir vor, du machst in einer Freundschaft einen Fehler. Statt konkret zu denken: „Ich hätte hier sensibler sein können“, meldet sich der innere Kritiker mit Aussagen wie: „Ich bin ein schlechter Mensch. Ich werde immer allein sein.“ Solche Verallgemeinerungen führen oft dazu, dass wir uns zurückziehen oder resignieren, anstatt konstruktiv mit der Situation umzugehen.

Es ist daher wichtig, deinen inneren Kritiker zu erkennen und ihm den Raum zu geben, den er verdient – und nicht mehr. Doch wie kann das gelingen?

3 Tipps, um den inneren Kritiker zu zähmen

1. Nimm den inneren Kritiker wahr – und lass ihn da sein.

Anstatt gegen die kritische Stimme in deinem Kopf anzukämpfen, versuche, sie anzunehmen. Indem du sie zulässt, kannst du paradoxerweise besser mit ihr umgehen. Begrüße deinen inneren Kritiker bewusst, wenn er sich meldet. Denk dir zum Beispiel: „Ah, da bist du ja wieder. Was hast du mir diesmal zu sagen?“

Das Ziel ist nicht, dem Kritiker blind zu glauben, sondern eine gewisse Distanz zu schaffen. Wenn du ihn als eine Art „Stimme im Raum“ wahrnimmst, fällt es oft leichter, ihm weniger Bedeutung beizumessen.

2. Führe einen Realitätscheck durch.

Hinterfrage bewusst die Aussagen deines inneren Kritikers. Wie oft lag er in der Vergangenheit bereits falsch? In ihrem Podcast „So bin ich eben“ beschreibt Stefanie Stahl den inneren Kritiker als einen unzuverlässigen Berater, der ständig Fehleinschätzungen trifft.

Hilfreich kann ein Kritiker-Protokoll sein: Notiere dir konkrete Situationen, die abwertende Kritik deines inneren Kritikers und die daraus resultierenden Gefühle. Überprüfe im Nachhinein, ob die Kritik wirklich berechtigt war – oder ob es sich um Übertreibungen und falsche Annahmen handelte.

3. Integriere eine ganzheitliche Sichtweise.

Der innere Kritiker liebt es, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken. Doch die Realität ist selten so simpel. Niemand ist immer nur erfolgreich oder scheitert immer nur. Übe dich daher darin, deine Fehler realistisch einzuordnen und gleichzeitig deine Stärken zu würdigen.

Statt zu denken: „Ich bin schlecht, weil ich einen Fehler gemacht habe“, überlege: „Was genau ist schiefgelaufen? Was kann ich daraus lernen?“

Versuche außerdem, dich selbst so zu behandeln, wie du es bei einem Freund tun würdest. Würdest du einen Freund nach einem Fehler sofort verurteilen? Wahrscheinlich nicht. Sei dir selbst gegenüber ebenso freundlich und unterstützend.

Freundlicher mit dir selbst umgehen

Unser innerer Kritiker kann ein hilfreicher Begleiter sein, wenn wir lernen, ihn zu zähmen und seine Aussagen kritisch zu hinterfragen. Es geht nicht darum, ihn komplett zum Schweigen zu bringen, sondern darum, seine Rolle auf ein gesundes Maß zu reduzieren.

Mit ein wenig Übung kannst du lernen, selbstkritische Gedanken realistischer einzuordnen und dich selbst mit mehr Mitgefühl und Nachsicht zu behandeln. Denn genauso wie du es deinen Freund:innen gönnst, freundlich behandelt zu werden, verdienst auch du diesen Respekt von dir selbst.

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Quellen & weiterführende Links

  • Chmielewski, F., & Hanning, S. (2021). Therapie-Tools Selbstwert. Beltz.
  • Dyer, A. (2015). Therapie-Tools: Selbsterfahrung. Beltz.
  • Eismann, G. & Lammers, C.-H. (2017). Therapie-Tools: Emotionsregulation. Beltz.
  • Podcast Folge: “Selbstkritik - warum sehen wir nur unsere Schwächen” des Podcasts “So bin ich eben!”

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